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Die Folgen der digitalen Entmenschlichung von Juden

Wenn Hashtags Stimmung machen – und Stimmung ein Ziel findet

(Foto: Shutterstock)

Was entsteht, wenn ein Slogan Koordinaten erhält?

Auf Plattformen, die den öffentlichen Raum imitieren, aber gleichzeitig die bürgerliche Zurückhaltung ablehnen, werden Juden zu Ausstellungsstücken umgestaltet: als Manipulatoren, Intriganten, heimliche Drahtzieher. Alte Verleumdungen kehren in frischeren Schriftarten zurück. Ein höhnisches Lächeln wird zur teilbaren Kachel, Ironie liefert einen dünnen Lack, und der gefälschte Applaus der Likes ersetzt ein Urteil ohne Gerichtsverfahren. Wiederholung gilt als Bestätigung; Lärm gibt sich als Nachricht aus. In dieser Atmosphäre wird ein Mensch zum Symbol, und Symbole laden zur Manipulation ein.

Die Methode ist stetig, nicht subtil. Der Kontext wird so lange reduziert, bis eine vorab ausgewählte „Essenz” übrigbleibt, die den Vorlieben der Pamphletisten entgegenkommt. Ein gekürztes Zitat wird als Beweis behandelt, ein Foto als Geständnis. „Ich stelle ja nur Fragen“ erscheint als Nachforschung, funktioniert aber als Katechismus. Zögerliche Nutzer leihen sich Mut aus dem Leuchten des Bildschirms und der Sicherheit der Menge. Mit jedem Echo sinkt der Preis für das nächste, und was eigentlich Scham hervorrufen sollte, kehrt als modisch zurück.

Hashtags, als Teilnahme verkauft, dienen der Steuerung. Sie treiben die Eifrigen zusammen, markieren die Beute und veröffentlichen unter dem Vorwand „öffentlicher Information“ die Fährte. Eine Synagoge wird zu einer Stecknadel auf der Karte. Eine Hochschulgruppe wird zur „Front“ befördert und dann mit Gebäude und Raum gelistet. Ein kleines Café erhält Geopolitik kraft seiner Speisekarte. Die Choreografie ist verlässlich: ein für Empörung geschnittener Clip, eine Bildunterschrift, die eine Straße zu Feindesland erklärt, ein Ort und eine Uhrzeit, die sich irgendwie selbst ankündigen. Sprache wird zu Logistik.

Die Begriffe kommen vorgewaschen daher. Reinigung, Reinheit, Widerstand, Gerechtigkeit – Weihrauch unter altem Groll. Ein Ziegelstein durchs Fenster wird als Ausdruck verkauft. Ein Fluch, einer sich auf dem Weg zum Gebet befindlichen Familie entgegengebrüllt, präsentiert sich als Rechenschaft. Euphemismen waschen Motive rein; das Gewissen entfernt sich in makellosen Gewändern, während der Besen seine Arbeit auf dem Gehweg verrichtet. Das ist keine Debatte, sondern Scharlatanerie mit Requisiten.

Erlaubnis zirkuliert durch Andeutung. Ein historischer Verweis wird auf Gift heruntergeschliffen. Ein gekappter Satz wird denen hingeworfen, die wissen, wann sie nicken und wann sie die Zähne fletschen müssen. Nichts explizit; alles verstanden. Ein Gerücht über einen lokalen Spendenaufruf wird mit einer weltumspannenden Verschwörung verschweißt und mit einer Postleitzahl versehen. Führung ist nicht nötig. Das Klima erteilt die Anweisung effizienter als jeder Gouverneur.

Die Abrechnung erscheint anderswo und später. Sie zeigt sich in kleinen Korrekturen gewöhnlicher Tage. Eine Mesusa wird abgenommen und in eine Schublade gelegt. Ein Davidstern wird nach innen gedreht. Eltern ändern den Schulweg, um die Ecke zu meiden, an der Parolen Megaphone rekrutieren. Ein Bibliotheksfoyer wird zum Spießrutenlauf. Gemeindezentren verlagern ihre Mittel von Büchern und Musik zu Rollläden und Kameras. Das sind keine Trends, sondern Umwege.

Ein diskretes Konto trägt die frühere Lektion weiter: Selbsttilgung. Leisere Stimmen. Diskrete Feste. Nebenstraßen in der Dämmerung. Europa hat diese Lektionen einst mit Verordnungen und Knüppeln vermittelt; die digitale Ausgabe ist automatisiert und allgegenwärtig, ihre Autorität entlehnt aus ständiger Präsenz. Entmenschlichung braucht keine Kanzel und keinen Zensor; ein Algorithmus genügt – unterstützt von einem Publikum, das Hitze mit Licht und Groll mit Ernst verwechselt.

Das Emblem, einmal installiert, wird zum Problem; das Problem, tragbar gemacht durch Design und Taktung, zum Ziel. Das Schauspiel wird als bürgerschaftliche Tugend inszeniert. Applaus gilt dem Ensemble; die Rechnung erhält die nächste Familie in erkennbarer Kleidung. Die Behauptung, dies sei „nur Gerede“, scheitert beim Kontakt mit dem Bürgersteig. Sprache hört auf, nur Sprache zu sein, wenn sie eine Tür, eine Zeit, einen Namen listet. Dieselben Werkzeuge, die am Dienstag Turnschuhe verkaufen, rufen am Freitag eine Menge zusammen. Das Ergebnis ist ein Theater der Bedrohung, inszeniert als Beteiligung.

Am Ende des Wochenendes gesteht eine Stadt ihre Veränderung. Ein Café, in dem einst Gespräche zu hören waren, versinkt in angespannter Stille. Eine Schule verlängert ihre Sicherheitsunterweisung über die Klingel hinaus. Der Heimweg am Freitag verkürzt sich um ein paar vorsichtige Blocks. Plattformen messen Eindrücke und erklären, dass die Welt gesprochen hat. Ungemessen bleiben die zusätzlichen Wege, die gesenkten Stimmen, die abgelegten Symbole in Schubladen. Der Übergang vom Hashtag zum Hassverbrechen ist nicht mysteriös. Es ist die stetige Verdinglichung eines Volkes zu einem Symbol, dann zu einem Fall und des Falls zu einem Ziel, wobei der Zeitplan höflich vom Feed geliefert wird.

Ab Boskany ist ein australischer Dichter und Schriftsteller mit kurdisch-jüdischem Hintergrund, geboren in Kurdistan (Nordirak). In seinen Werken beschäftigt er sich mit Exil, Erinnerung und Identität und verwebt jüdische und kurdische Geschichte in Romanen, Gedichten und Essays.

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