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Gazas bewegtes Jahrhundert: Von der britischen Herrschaft bis zum Aufstieg der Hamas und ihrem Massaker am 7. Oktober im Süden Israels

Geschichte Gazas – Teil 4 von 4

Gaza, um 1930. (Quelle: palestineremembered.com)

In den letzten drei Artikeln über die Geschichte Gazas haben wir jeweils Hunderte oder sogar Tausende von Jahren behandelt. Nun wollen wir näher heranzoomen und einen ganzen Artikel dem letzten Jahrhundert widmen, von der britischen Eroberung im Ersten Weltkrieg bis zum Tag des Angriffs der Hamas im Süden Israels am 7. Oktober 2023.

Als Stadt nahe der ägyptischen Grenze war Gaza unmittelbar nach dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches auf Seiten der Mittelmächte im Oktober 1914 durch das von Großbritannien kontrollierte Ägypten gefährdet. 1916 vertrieben die Osmanen alle Juden aus Gaza, da sie sie der Sympathie für die Briten verdächtigten. Dies weitete sich später auf weitere Teile Palästinas aus, und im Frühjahr 1917 vertrieben sie sogar die Juden aus Tel Aviv.

Im März 1917 fand die erste Schlacht um Gaza statt. Beide Seiten betrachteten sich als besiegt, aber die Briten zogen sich früher zurück. Nach der Schlacht ritt ein Augenzeuge in Gaza ein und beschrieb: „Überall herrschte tödliche Stille. Mitten auf den Straßen ... hunderte von Leichen und zerbrochene Überreste von Menschen und Tieren. An den geschwärzten Hauswänden ... große violette Flecken, wie rote Blumen – Blumen aus Blut, die zeigten, wo Verletzte und Sterbende vor ihrem letzten Atemzug ihre Brust oder Stirn ruhen ließen." (Aus den Memoiren von Rafael de Nogales, venezolanischer Freiwilliger in der osmanischen Armee).

Die Briten scheiterten erneut in der zweiten Schlacht um Gaza im April 1917. Aber sie sammelten Informationen – teilweise mit Hilfe des jüdisch-zionistischen Spionagenetzwerks Nili – und kehrten für eine dritte Schlacht zurück. Am 31. Oktober 1917 eroberten sie Beerscheba und kehrten dann am 1. November aus zwei Richtungen nach Gaza zurück. Nach einer Woche voller Kämpfe war Gaza in britischer Hand und der Weg nach Jerusalem frei. Weniger als zwei Monate später marschierte General Edmund Allenby in Jerusalem ein.

Mit Gaza unter britischer Herrschaft kehrten einige der 1916 vertriebenen Juden in ihre Heimatstadt zurück, aber die Gemeinde blieb klein – etwa 50 Familien. Zeitzeugen berichten, dass sie ausgezeichnete Beziehungen zu ihren arabischen Nachbarn hatten. Während der restlichen britischen Herrschaft blühte Gaza sogar auf und wuchs. Neue Stadtviertel wurden gebaut, und am Ende des Mandats hatte Gaza etwa 30.000 Einwohner.

Die Lage der Juden verschlechterte sich 1929, als Unruhen ausbrachen und die Araber, angeheizt durch panarabischen Nationalismus und Antizionismus, ihre jüdischen Nachbarn angriffen, die seit Jahrhunderten Seite an Seite mit ihnen gelebt hatten. Die Tatsache, dass die meisten dieser Juden Arabisch sprachen und nicht unbedingt Zionisten waren, spielte keine Rolle. In Gaza war die Zahl der Todesopfer nicht so hoch wie in Hebron oder Safed, aber es war schlimm genug. Im Gegensatz zu anderen Orten war die jüdische Gemeinde in Gaza klein, verfügte über keine Verteidigungsinfrastruktur und war daher besonders gefährdet. Die Juden flohen aus Gaza und kehrten nie wieder zurück. Die arabischen Unruhen von 1929 bedeuteten das Ende der jüdischen Präsenz in der Stadt bis zum heutigen Tag, und das jüdische Viertel wurde zerstört.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Palästina zu einer wichtigen britischen Festung, insbesondere als Rommels deutsche Truppen durch Nordafrika vorrückten und Syrien unter die Herrschaft des französischen Vichy-Regimes fiel. Es gibt seltene Filmaufnahmen von australischen ANZAC-Soldaten, die 1941 während ihres Einsatzes in Gaza am Strand surften.

Dann war der Krieg 1945 vorbei, und nachdem die Briten Indien verloren hatten, hatten sie kein Interesse mehr daran, den Nahen Osten zu halten. Sie wollten weg. Aber wie? Im Irak und in Jordanien setzten sie lokale Regierungen ein. Ägypten war bereits ein Protektorat mit sehr lockerer britischer Aufsicht, aber in dem Gebiet, das als Palästina bezeichnet wurde, geschah dies nie. Die beiden konkurrierenden nationalistischen Bewegungen waren zu unversöhnlich, insbesondere angesichts der Flüchtlingskrise nach dem Holocaust in Europa. Die Juden bestanden auf einem jüdischen Staat und freier jüdischer Einwanderung, während die Araber geschlossene Grenzen wollten. Die Briten baten die neu gegründeten Vereinten Nationen um eine Lösung, und die UN verabschiedete 1947 einen Teilungsplan, der sich grob an der Bevölkerungszahl orientierte. Da jedoch niemand diesen Plan umsetzen wollte, gaben die Briten einfach auf und zogen sich im Mai 1948 zurück, wodurch die Region in einen Bürgerkrieg stürzte.

In dem Moment, als die Briten das Land verließen, erklärte Israel seine Unabhängigkeit und wurde sofort von allen Seiten angegriffen – auch von ägyptischer Seite, wo sich Gaza befindet. Ägyptische Truppen eroberten Gaza schnell und hielten es während des größten Teils des israelischen Unabhängigkeitskrieges besetzt – und Gaza wurde bald von palästinensischen Flüchtlingen überschwemmt.

Etwa 750.000 Araber flohen oder wurden aus Gebieten vertrieben, die während des Krieges zu Israel wurden – später unter Arabern als „die Naqba“ bekannt. Rund 200.000 dieser Flüchtlinge kamen in das Gebiet rund um Gaza. Sie blieben in Gaza, weil es das letzte bewohnbare Gebiet vor der Wüste war und sie in der Nähe bleiben wollten, in der Annahme, dass sie bald nach Hause zurückkehren könnten, sobald Israel besiegt wäre.

Doch dazu kam es nie.

Die Naqba-Flüchtlinge kamen in viele andere Gebiete, wie Jordanien, Judäa und Samaria (Westjordanland), Syrien und Libanon. Aber der nun entstandene Gazastreifen war der einzige Ort, an dem diese Flüchtlinge die Mehrheit bildeten und die Einheimischen überwältigten. Noch heute sind mindestens 60 % der Bevölkerung des Gazastreifens Nachkommen dieser Flüchtlinge.

Die von Ägypten und Jordanien eroberten Gebiete blieben unter ägyptischer und jordanischer Kontrolle. Zu diesem Zeitpunkt entstanden das Westjordanland und der Gazastreifen. Auf dem Gebiet des späteren Gazastreifens gab es eine jüdische Stadt – Kfar Darom –, die jedoch evakuiert wurde.

In den Verhandlungen mit Ägypten im Jahr 1949 bot der damalige Premierminister David Ben-Gurion an, dass die Hälfte dieser Flüchtlinge – etwa 100.000 –, zurückkehren dürfe, insofern Israel den Gazastreifen annektieren und zu einem Teil Israels machen dürfe. Ägypten lehnte dies ab. Ägypten weigerte sich jedoch auch, den Palästinensern die ägyptische Staatsbürgerschaft zu gewähren oder die Grenze zu Ägypten zu öffnen. Stattdessen wurde der Gazastreifen abgeriegelt und von den Ägyptern als Teil eines zukünftigen Palästinas betrachtet. Die Flüchtlinge sollten in einem dauerhaften Flüchtlingsstatus gehalten werden, um Druck auf Israel auszuüben, seine Existenz aufzugeben. In dieser Zeit wurde das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) gegründet.

Die UNRWA versorgte die Flüchtlinge mit Lebensmitteln, Bildung und humanitären Grundbedürfnissen. Es sollte eine vorübergehende Lösung für einige Jahre sein, „bis die Palästinenserfrage gelöst ist“ – was ein Codewort für „Israel hört auf zu existieren“ ist. Da Israel jedoch hartnäckig an seiner Existenz festhielt, wurde diese vorübergehende Lösung dauerhaft, und die palästinensischen Flüchtlinge wurden die einzigen Flüchtlinge weltweit, deren Status vererbbar wurde.

Man könnte meinen, dass der Gazastreifen zu diesem Zeitpunkt zu einem „Freiluftgefängnis“ wurde, aber das ist nicht der Fall. Die Grenze war vollständig offen. Es gab weder Zäune noch Kontrollpunkte. Viele Palästinenser aus dem Gazastreifen schlichen sich leicht nach Israel ein. Manche gingen einfach zurück, um Dinge zu holen, die sie bei der Flucht zurückgelassen hatten. Andere griffen Juden an und töteten sie. Diese Überfälle wurden als Fedajin-Angriffe bekannt und wurden mit der Zeit immer besser organisiert. Dies führte auch zu israelischen Gegenangriffen unter der Führung eines jungen Offiziers namens Ariel Sharon, dessen Leben eng mit Gaza verflochten war. Es handelte sich um die höchst umstrittenen „Vergeltungsoperationen“.

Ursprünglich hatte Ägypten diese Fedajin als Ärgernis betrachtet und befürchtet, sie könnten einen neuen Krieg mit Israel auslösen, doch mit der Zeit engagierte sich die ägyptische Armee zunehmend in ihrer Ausbildung. Diese Fedajin-Einheiten im Gazastreifen waren die Wiege des palästinensischen Nationalismus. Hier begannen viele wichtige Persönlichkeiten der Fatah und der PLO ihre Karriere.

Im Jahr 1956 eroberte Israel im Rahmen der Sinai-Kampagne nicht nur den Gazastreifen, sondern die gesamte Sinai-Halbinsel. Über 1.000 Gaza-Bewohner wurden getötet, als die IDF-Truppen auf der Suche nach Mitgliedern der Fedajin die Stadt durchkämmten. Ben-Gurion ging davon aus, dass sie den Sinai irgendwann zurückgeben müssten, hoffte aber, Gaza behalten zu können, und ordnete daher den Bau einer Siedlung an. Es war die erste israelische Siedlung überhaupt, sie hieß Nachal Rafiach und lag in der Nähe von Rafah. Sie existierte zwei Monate lang.

Als die Verhandlungen endeten und Israel den Sinai und den Gazastreifen an Ägypten zurückgab, wurde in dem Abkommen auch das Ende der Fedajin-Angriffe vereinbart. Ägypten sperrte die meisten von ihnen ein. Wer konnte, floh aus Ägypten und traf sich in Kuwait, wo sie sich unter einem jungen charismatischen ägyptischen Offizier namens Yasser Arafat zur Fatah-Partei zusammenschlossen. 1964 schloss sich die Fatah zusammen mit mehreren anderen palästinensischen Organisationen unter dem Dach der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) mit Sitz in Jordanien zusammen.

1967 bereitete Ägypten einen umfassenden Krieg gegen Israel vor, um es auszulöschen. Stattdessen errang Israel jedoch einen vernichtenden Sieg im Sechstagekrieg und eroberte die gesamte Sinai-Halbinsel. Gaza wurde sozusagen automatisch Teil davon. Dies war das Ende der letzten ägyptischen Herrschaft über Gaza.

Als Gaza Teil Israels wurde, entwickelte es sich zu einem beliebten Ausflugsziel für Israelis, die die Märkte besuchen, an den Strand gehen oder ihr Auto in einer günstigen Werkstatt reparieren lassen wollten. Israelische Schulen organisierten Ausflüge nach Gaza, und israelische Archäologen gruben die alte Synagoge aus. Israelis konnten sich frei bewegen und ohne Angst Hebräisch sprechen.

Zum ersten Mal seit 1948 konnten die Bewohner Gazas nun jederzeit die Westbank oder Israel besuchen, und Israel verfolgte eine gezielte Politik, um die Bewohner Gazas zu ermutigen, nach Jordanien oder in andere Nachbarländer zu ziehen. Viele gingen tatsächlich nach Jordanien, wo sie von der Fatah und der PLO leicht rekrutiert werden konnten. 1970 wurden sie aus Jordanien ausgewiesen und zogen in den Südlibanon. Von hier aus war es einfacher, „Schiffe nach Gaza“ mit Waffen und Sprengstoff zu schicken. Die palästinensischen Terroristen in Gaza wurden stärker.

Nach einem brutalen Terroranschlag im Jahr 1971 begann Israel mit härteren Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, angeführt von General Ariel Sharon. Wieder einmal. Und es war brutal. Sharon verfolgte eine Politik der kollektiven Bestrafung. Wenn eine Granate von einer Straße aus geworfen wurde, wurde diese Straße zerstört. Wenn sich Terroristen in einem Wäldchen versteckten, wurde dieses Wäldchen niedergebrannt. Tausende Terroristen wurden verhaftet und etwa 38.000 Gaza-Bewohner vertrieben. Dies ist auch die Zeit, in der die israelischen Siedlungen im Gazastreifen und im Sinai errichtet wurden. Kfar Darom, das 1948 evakuiert worden war, wurde wieder aufgebaut, aber auch Netzarim, Gush Katif, Yamit und viele andere Siedlungen entstanden.

Diese Maßnahmen unterwarfen den Gazastreifen wirksam. So sehr, dass Gaza 1973, als der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, still blieb. Niemand wagte es, sich erneut gegen Israel zu erheben. Die Lage schien sich zu beruhigen, und der Gazastreifen wurde wieder zu einem sicheren Ort für Israelis, die dort einen günstigeren Zahnarzt aufsuchten oder auf dem Markt Knafe aßen. Israel begann, die Möglichkeit einer Annexion des Gazastreifens und der Verleihung der israelischen Staatsbürgerschaft an die Bewohner Gazas zu prüfen. Die Grenzen wurden weiter geöffnet, und die Bewohner Gazas durften zur Arbeit nach Israel einreisen. Viele lernten Hebräisch.

Die PLO im Libanon verurteilte diese Normalisierung und forderte „Widerstand“. Gaza-Bewohner, die in Israel arbeiteten, wurden als „Kollaborateure“ gebrandmarkt. Busse, die Arbeiter nach Israel brachten, wurden mit Granaten beworfen. Die normale Bevölkerung Gazas begann, Angst vor der Arbeit mit Israel zu haben, da sie dadurch zur Zielscheibe der PLO wurde. Als Israel versuchte, Kommunalwahlen zu organisieren, wurde jeder, der es wagte, daran teilzunehmen, ermordet.

1973 gründete ein junger Scheich namens Ahmed Yassin einen Ableger der Muslimbruderschaft in Gaza, „Mujama' al-Islami“, und widersetzte sich offen der säkularen PLO, indem er mit Israel zusammenarbeitete. Zu diesem Zeitpunkt war Israel praktisch auf der Suche nach jedem Einwohner Gazas, der bereit war, mit ihnen zusammenzuarbeiten – und so knüpfte der örtliche IDF-Kommandeur Beziehungen zu Yassin, der die Muslimbruderschaft als religiöse, unpolitische und nicht-nationalistische Bewegung darstellte.

Yassin gründete Gemeinden rund um die Moscheen, Sporttrainings, außerschulische Aktivitäten, Kindergärten, Berufsschulen, humanitäre Aktivitäten und gemeindeorientierte Arbeit. Sie wurde zu einer lokalen Kraft, die nicht von der PLO abhängig war, und erhielt volle Unterstützung von Israel.

Und so baute Ahmed Yassin 15 Jahre lang, bis zur ersten Intifada, langsam und still die Grundlagen für die spätere Terrororganisation Hamas auf, direkt unter den Augen Israels. Es entstand eine große Infrastruktur religiöser, gemeindebasierter Organisationen, in denen die Samen des Extremismus gesät wurden und jederzeit aufkeimen konnten. Im Jahr 1967 gab es in Gaza etwa 70 Moscheen. Bis 1982 waren es über 175. Alle wurden mit Hilfe Israels gebaut. Im Jahr 1978 genehmigte Israel die erste islamische Universität in Gaza – eine Universität, die später als Brutstätte für Hamas-Führer und Terroristen bekannt wurde.

Das ist es, was die Leute meinen, wenn sie sagen, dass „Israel die Hamas geschaffen hat“.

Im Friedensabkommen mit Ägypten von 1979 wurde der Sinai zurückgegeben, nicht jedoch Gaza. Die PLO protestierte und verurteilte Ägypten als Kollaborateur. Die Mujama schwieg und gab vor, unpolitisch zu sein. Es ist plausibel, dass Yassin eine Fortsetzung der israelischen Herrschaft bevorzugte, da er wusste, dass es viel schwieriger sein würde, die säkularen Ägypter zu täuschen, die Erfahrung mit der Muslimbruderschaft hatten.

In den 1980er Jahren, vor dem Ausbruch der Intifada 1987, verschärfte sich der Bürgerkrieg zwischen der säkularen nationalistischen PLO und der islamistischen Mujama. Mujama-Aktivisten verwüsteten „westliche“ Einrichtungen wie Kinos, Kasinos und sogar die Büros des Roten Halbmonds (Rettungsdienst). 1985 gründete Yassin einen internen Sicherheitsdienst namens Majd und ernannte einen jungen Mann namens Yahya Sinwar zu seinem Stellvertreter. Ihre Aufgabe war es, Gaza zu säubern und Drogendealer, Prostituierte und Kollaborateure zu fassen. In Wirklichkeit nahmen sie vor allem PLO-Kämpfer und alle lokalen Bewohner Gazas ins Visier, die der Kollaboration mit Israel verdächtigt wurden. Damals erhielt Sinwar den Spitznamen „der Schlächter von Khan Younis“ – wegen all der Palästinenser, die er mit bloßen Händen ermordet hatte. Später, während der ersten Intifada, wurde er 1989 inhaftiert und erst 2011 wieder freigelassen.

Während der gesamten 1980er Jahre hielt sich Israel zurück und griff nicht ein. Alles, was die PLO schwächte, war eine gute Nachricht. Doch dann brach 1987 die Erste Intifada aus, die in Gaza entflammte und sich auf das Westjordanland ausbreitete. Darauf hatte Scheich Yassin gewartet. Nun gründete er die Hamas und begann, das Netzwerk der Mujama für Terroranschläge in Israel zu nutzen. Israel wurde schnell klar, dass die Islamisten ein größeres Problem darstellten als die PLO. Israel schloss die Grenzen zum Gazastreifen dauerhaft und errichtete einen stärkeren Zaun. Israel begann, den Gazastreifen als heiße Kartoffel zu betrachten, die man gerne jedem überlassen würde, der sie haben will.

Sogar der PLO.

Die PLO war nach dem Libanonkrieg 1982 geschwächt, als sie gezwungen war, nach Tunesien umzuziehen, und 1991 verlor sie die Unterstützung der Sowjetunion. Nun wurde ihr im Rahmen der Osloer Verträge Autonomie in Gaza und Jericho als erster Schritt angeboten, unter der Bedingung, dass sie den Frieden in Gaza aufrechterhalten und die Hamas unterdrücken würden. Dieses Angebot konnten sie nicht ablehnen. Als Teil der Vereinbarung wurden einige Fatah-Führer aus israelischen Gefängnissen freigelassen und kamen nach Gaza, um eine neue Polizei aufzubauen und auf die Ankunft Arafats zu warten. Einer dieser Fatah-Führer war Muhammad Dahlan, der begann, eine starke Anti-Hamas-Truppe in Gaza aufzubauen. Von 1994 bis 2007 wurde der Gazastreifen gelegentlich als „Dahlanistan“ bezeichnet. Mit Unterstützung Israels und bewaffnet durch die IDF gewann die PLO die Oberhand über die Hamas in Gaza.

Im Juli 1994 traf Arafat unter großem Jubel in einer Autokolonne aus Ägypten in Gaza ein. Er betrat Gaza zu Fuß als „Befreier, der die Besatzung beendet hatte“, schüttelte dem israelischen IDF-Kommandanten, der ihm die Stadt übergab, die Hand und verneigte sich dann, um den Boden zu küssen. Das war kein besonders kluger Schachzug – denn was alle auf ihren Fernsehbildschirmen sahen, war Arafat, der sich vor einem israelischen Kommandanten in Uniform verneigte... und die Hamas nutzte dies, um die PLO als Kollaborateure Israels zu beschuldigen.

Gaza erlebte ein beispielloses Wachstum. Viele Länder gaben viel Geld. Sie bauten Hotels, gründeten Unternehmen, richteten ein Elektrizitätsunternehmen ein und bauten einen Flughafen. Israelische Geschäftsleute eröffneten Büros in Gaza, und die Stadt wuchs. Die PLO brachte eine neue, reiche Oberschicht mit. Arafat und seine Leute lebten in Luxus, während die meisten normalen Bewohner Gazas weiterhin in Armut lebten. Die Hamas beschuldigte die Palästinensische Autonomiebehörde, ein neues Mittel Israels zu sein, um die Kontrolle über das palästinensische Volk auszuüben. Aus ihrer Sicht kam Arafat mit seinen Leuten aus Tunis und tauschte lediglich die israelische Besatzung gegen eine neue Form der korrupten Unterdrückung ein.

Die Hamas verübte in den 1990er Jahren weitere Selbstmordattentate, um die Osloer Verträge zu vereiteln. Zu dieser Zeit traten einige Fälle von extremem israelischem Siedlerterrorismus zutage, darunter vor allem die Ermordung des ehemaligen Premierministers Yitzhak Rabin im Jahr 1995. Im Sommer 2000 unterbreitete Israel ein letztes, äußerst großzügiges Friedensangebot, das die Gründung eines unabhängigen Palästinas vorsah. Arafat lehnte ab und löste die zweite Intifada aus. Möglicherweise geschah dies aufgrund der Popularität der Hamas. Ohne einen aktuellen bewaffneten Kampf gegen Israel hätte die PLO ihre Glaubwürdigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk verloren und wäre nur noch als Kollaborateur angesehen worden.

Im September 2000 kam es dann dazu. Hunderte palästinensische (PA-)Polizisten wandten sich mit scharfer Munition am Netzarim-Übergang gegen ihre ehemaligen Kollegen der IDF. Erneut brach eine Intifada in Gaza aus, die auch das Westjordanland erreichte. Die Hamas begann mit dem Bau von Raketen, die sie auf israelische Siedlungen abfeuerte. Selbstmordattentate nahmen in ganz Israel zu, Hunderte Menschen starben.

Und dann kam Ariel Sharon zurück. Diesmal als Premierminister. Aber die meisten seiner harten Maßnahmen gegen den Terrorismus konzentrierten sich auf das Westjordanland – nicht auf den Gazastreifen. In Bezug auf den Gazastreifen kam er zu dem Schluss, dass es auf der anderen Seite niemanden gab – weder die PLO noch die Hamas –, mit dem man reden konnte. Also beschloss er, das zu tun, was die Briten 1948 getan hatten. Einfach gehen. Aber zuerst tötete er 2004 Scheich Yassin bei einem Luftangriff.

Im Jahr 2005 kam es zum Rückzug. Israel räumte alle Siedlungen mit Gewalt, zerstörte jüdische Friedhöfe und evakuierte alle Militärstützpunkte. Der Gazastreifen wurde zu einer isolierten Enklave der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Die Hamas behauptete: „Unsere Selbstmordattentate haben Israel aus Gaza vertrieben“, was ihr einen enormen Popularitätsschub verschaffte. Die Vereinigten Staaten wollten diesen Schwung nutzen, um Wahlen zu erzwingen, und drängten darauf, die Hamas daran teilnehmen zu lassen. Ein großer Fehler. Die Wahlen fanden 2006 statt, und die Hamas gewann die meisten Sitze im Parlament. Der Hamas-Führer Ismail Haniyeh wurde der erste gewählte palästinensische Ministerpräsident unter PA-Präsident Abbas. Aber diese gewählte Regierung hielt nicht lange.

Im Jahr 2007 stürzte die Hamas die PLO in Gaza gewaltsam, tötete oder warf ihre Mitglieder von Dächern und vertrieb alle, die mit der Fatah in Verbindung standen, dauerhaft aus Gaza. Von diesem Moment an, im Jahr 2007, wurde Gaza zu einer winzigen, isolierten Diktatur unter der Hamas. Mahmoud Abbas vertrieb daraufhin alle Hamas-Mitglieder aus seiner PLO-Regierung in Ramallah. Die Wahlen von 2006 wurden praktisch annulliert.

Israel stand abseits und unternahm nichts in diesem Bürgerkrieg, vielleicht aus Sorge, dass derjenige, dem es „half“, die palästinensische Legitimität verlieren würde. Vielleicht auch, weil Sharon nicht mehr lebte. Aber als es vorbei war, begann Israel, den Gazastreifen wie Nordkorea zu behandeln: Es schloss alle Grenzen, ließ nur minimale humanitäre Hilfe zu und verhängte eine Seeblockade. In der Hoffnung, dass die Gaza-Bewohner umso eher gegen die Hamas revoltieren würden, je schlechter ihr Leben wäre. Aber es hatte den gegenteiligen Effekt. Angesichts der schlechten humanitären Lage wurde die von Katar und Iran finanzierte Hamas zum größten Arbeitgeber und einzigen Versorger der Bevölkerung.

Als sich Gaza in einen totalitären Hamasstan verwandelte, begannen sie, israelische Städte zu beschießen und Israelis zu entführen, wann immer sie konnten. Mit der Zeit beschafften sie sich immer modernere Waffen und begannen, auf Beerscheba, Aschkelon, Tel Aviv und sogar Jerusalem zu schießen.

Israel versuchte, die Hamas in Schach zu halten, zögerte jedoch, in den Gazastreifen einzumarschieren und ihn wieder zu besetzen, da die Zahl der Todesopfer zu hoch gewesen wäre. Stattdessen wurde eine Politik der totalen Trennung und einer starken Sicherheitsbarriere verfolgt. Es wurde ein System von Zuckerbrot und Peitsche eingeführt, um die Hamas in Schach zu halten, wobei von Zeit zu Zeit Luftangriffe oder sogar Bodentruppen eingesetzt wurden, um die Terrorinfrastruktur „abzumähen“, aber den Bewohnern des Gazastreifens weiterhin erlaubt wurde, zur Arbeit nach Israel einzureisen, solange es ruhig blieb. Die meisten Israelis glaubten, dass die Hamas auf diese Weise ruhig bleiben und es vorziehen würde, den Gazastreifen zu entwickeln, in die eigene Bevölkerung zu investieren und kein Interesse an einem Konflikt zu haben. Das war vernünftig.

Die Hamas wiegte Israel in der Annahme, dass diese Politik funktionierte und dass sie vernünftig war.

Das war sie nicht.

Die Hamas wurde schon immer von religiösen Fundamentalisten angeführt. Am 7. Oktober 2023 wurden die verheerenden Folgen dieser langen Ignoranz unübersehbar. Gaza war wie ein Auto, dessen „Motor überprüfen“-Leuchte seit 2007 blinkte – und Israel weigerte sich, den Motor zu überprüfen, in der Hoffnung, dass alles gut gehen würde. Bis es explodierte.

Derzeit weiß niemand, wie die Zukunft Gazas aussehen wird. Aber eines ist klar: Israels Politik, die Hamas in Gaza regieren zu lassen, ist endgültig gescheitert.

Der fruchtbare Boden Gazas und seine Lage zwischen Meer und Wüste haben es seit jeher zu einem attraktiven Ort für Handel und Landwirtschaft gemacht. Diese Lage hat es jedoch auch zum Ziel von Kriegen und Eroberungen gemacht, und im Laufe seiner langen Geschichte gehörte es verschiedenen Nationen und Imperien. Die Hamas ist die jüngste in einer langen Reihe von Herrschern, die den Gazastreifen zu einer isolierten und belagerten Stadt gemacht haben. Der fruchtbare Boden, der einst für den Anbau von Getreide hervorragend geeignet war, wird heute zum Graben von Terrortunneln und zum Verstecken von Waffen genutzt.

Die Zukunft Gazas ist noch immer ungewiss. Wird die PLO zurückkehren? Wird Dahlan aus seinem Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten zurückkehren? Wird es zu den USA gehören? Werden Israel und die USA dem Beispiel Alexanders des Großen oder Napoleon Bonapartes folgen, die beide Gaza vollständig entvölkerten? Wird der Status der Flüchtlinge ein für alle Mal geklärt werden, oder werden sie dauerhaft Flüchtlinge bleiben? Ist die Zukunft Gazas säkular oder islamisch? Werden Israelis Gaza wieder besuchen können, wie sie es in den 70er Jahren taten? Wird Israel versuchen, Kfar Darom zum dritten Mal wieder aufzubauen? Werden jemals wieder Juden dauerhaft in Gaza-Stadt leben, oder war 1929 das letzte Mal?

Sokrates, der Lehrer von Platon, der Lehrer von Aristoteles, der Lehrer von Alexander dem Großen, der einst Gaza zerstörte, beantwortete all diese Fragen auf die beste Weise: Das Einzige, was wir wissen, ist, dass wir nichts wissen.

Klicken Sie hier, um die vorherigen Artikel der Reihe „Geschichte von Gaza“ zu lesen: Teil 1, Teil 2 und Teil 3.

Tuvia ist ein jüdischer Geschichtsfanatiker, der in Jerusalem lebt und an Jesus glaubt. Er schreibt Artikel und Geschichten über jüdische und christliche Geschichte. Seine Website ist www.tuviapollack.com.

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